Dr. Dieter Krost ist Kinderarzt und war sechs Jahre lang für das medizinische Mutter-Kind-Projekt in der Wolkayt Region im Westen Tigrays in beratender Funktion tätig. Fünfmal besuchte er das Senebesh Health Center Korarit vor Ort. Der Krieg im Tigray hat nun alles verändert – hier ist sein Bericht.
Unser letzter Besuch in Korarit war im Oktober 2019. Zur Jahreswende waren wir stolz und glücklich, denn viele vorher gebahnte Aktionen wurden umgesetzt. Es bestand der Eindruck, dass zahlreiche Hoffnungen und Intentionen, die wir mit dem Projekt verknüpft haben, sich realisieren würden:
- Vom grundlegenden Gedanken ausgehend, dass unser Engagement im Sinne von „Hilfe zur Selbsthilfe“ nur vorübergehend sein sollte und nach Jahren intensiver Arbeit nun auch ohne unser Zutun Bestand haben würde, war der beginnende Ausstieg fixiert worden.
- Der langjährige Direktor der Gesundheitsabteilung von REST, unser Hauptansprechpartner, hatte sich in seinen wohlverdienten Ruhestand begeben. Aber es gab andere, sehr qualifizierte Mitarbeiter bei REST, die „unser“ Projekt engagiert weiterführten.
- Der von uns finanzierte Arzt und „Senior Officer“, ebenfalls schon viele Jahre für die medizinischen kinder unserer welt-Projekte in verantwortlicher Position tätig, leitete weiterhin unser Gesundheitsprogramm in Korarit.
- Und auch hinsichtlich des neuen Direktors des Senebesh Health Centers hatten wir den Eindruck, dass er gewillt war, auch zukünftig die für die ganze Region einzige Gesundheitseinrichtung engagiert zu führen.
Wir durften uns ein Bild davon machen, dass auch die religiösen Führer in der Stadt Korarit sich unsere Anliegen zu eigen machten und wichtige Aufklärungs- und Gesundheitsbotschaften an die Gemeinde vermittelten.
Einbindung der Stadtgesellschaft
Wir waren angetan vom Engagement der Jugend, die bereit war, sich inhaltlich mit gesundheitlichen Themen auseinanderzusetzen, in ihrer Freizeit ihre eigenen Räumlichkeiten im Health Center zu gestalten, aber auch in die Gemeinde zu gehen, um mit Theaterstücken, Diskussionen und Überzeugungsarbeit zu unterstützen.
Wir waren begeistert vom Einsatz ehrenamtlich engagierter Frauen, der Women’s Development Team Leader, die soziale und gesundheitliche Fürsorge in den umliegenden Dörfern zu gewährleisten und auszubauen. Zur Fortführung entsprechender Schulungsmaßnahmen für über tausend Women’s Development Team Leader war erneut die finanzielle Unterstützung der GIZ gesichert.
Die Gehälter des leitenden Arztes und des Apothekers, die Finanzierung notwendiger Medikamente für Kinder und Mütter sowie die Bereitstellung von medizinischen Geräten und Ausstattungsmaterialien wurden durch kinder unserer welt sichergestellt, Kinder unter 5 Jahren wurden kostenlos behandelt. Ebenso unterstützten wir die Begleitung der Mütter während der Schwangerschaft, bei der Geburt und Nachsorge.
Highlights
Zwei „Highlights“ waren hinzugekommen, dank der zusätzlichen Unterstützung von kinder unserer welt-Spendern:
Der Ausbau des abgelegenen Health Posts in Mogue um eine für viele Mütter und Kinder lebensrettende, geburtshilfliche Station und die Option, auch in der entfernten Ortschaft Adi Filho eine Entbindungsstation aufzubauen.
In Mogue nahm Anfang 2020 ein Geburtshelfer seine Tätigkeit auf. Der Health Post wurde mit entsprechendem Mobiliar ausgestattet. Die Anbindung an das Senebesh Health Center in Korarit, z.B. die Laborleistungen betreffend, war gegeben. Nach anfänglichem Zögern machte sich REST diese Form der regionalen Gesundheitsversorgung zu eigen und teilte mit, dass es beabsichtigt sei, solche regionalen Entbindungsstationen auch andernorts aufzubauen.
Fortführung unter der Pandemie
So weit, so gut. Dann wurde aber bereits der Beginn des Jahres 2020 getrübt durch die uns alle in ihrer Vehemenz überraschenden Auswirkungen von COVID 19. Die bereits in die Wege geleitete Supervision an Ostern musste abgesagt werden. In der damals noch naiven Hoffnung auf baldige Überwindung dieser Krise wurde das Women’s Development Team Leader-Schulungsprogramm auf den Herbst verschoben.
Bei zum damaligen Zeitpunkt noch valide bestehenden Verbindungen erfolgte ein intensiver Austausch und eine wie gewohnt umfassende Information über die Verhältnisse vor Ort. Es wurde über Aufklärungskampagnen zur Vermeidung von COVID-19 berichtet, ebenso dass die laufenden Maßnahmen, wie routinemäßige Impfungen, Informationsveranstaltungen für die Schwangeren und auch die gesundheitliche Betreuung der Familien in den Dörfern infolge der Pandemie zwar erschwert seien, aber überwiegend weitergeführt werden konnten. Bekannterweise kam es nach nur vorübergehender Verbesserung der Situation im Herbst 2020 zur 2. Welle, sodass auch die Herbst-Supervision durch das kinder unserer welt-Team nicht durchgeführt wurde.
Krieg im Tigray
Katastrophal wurde die Situation durch den Krieg im Tigray, der am 4. November 2020 begann. Berichten internationaler Organisationen zufolge, wie UNHCR, Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen, kommt es seitdem zu Vertreibungen und Hinrichtungen der Zivilbevölkerung, systematischen Vergewaltigungen, Plünderungen und Verwüstungen von Dörfern, öffentlichen Gebäuden und Gesundheitseinrichtungen. Nach Schätzungen sind 70% der Hospitäler und Health Center im Tigray nicht mehr funktionsfähig, das gesamte Gesundheitswesen ist zusammengebrochen.
Über die Situation in unserem medizinischen Projekt in Korarit haben wir bis heute keinerlei Informationen. Unser Arzt und der ebenfalls von uns angestellte „Pharmacy Technician“ sowie der Geburtshelfer konnten sich nach Shire, dem nächstgelegenen Regionalzentrum retten. Dort nahmen sie ihre Arbeit, soweit möglich, im dortigen Alganesh Health Center auf, dem früheren, von kinder unserer welt und REST aufgebauten und 20 Jahre lang betriebenen Mother & Child Health Care Center.
Die ursprünglich dem Gesundheitsprojekt in Korarit zugedachten Mittel wurden von kinder unserer welt zur Notfallversorgung von Kindern und Müttern und zum Wiederaufbau der Mutter-Kind-Station im Alganesh Health Center in Shire umgewidmet, solange eine Wiederaufnahme der Tätigkeit in Korarit nicht möglich erscheint.
Diese streben wir an und wollen sie auch im Weiteren unterstützen, denn wir wissen, dass, auch wenn die Hütten verbrannt sein mögen, die gewonnenen Einsichten so schnell nicht zerstört werden können.